Die Suche nach historischen Vorbildern und grundlegende Gedanken zur wahrnehmungspsychologischen Bedeutungsebene der Brennweite

Auf der Suche nach (kunst-)historischen Vorbildern und Gedankengebäuden für dieses Projekt, halte ich es für sinnvoll, die "Ismen" der Philosophie primär, die der Kunstgeschichte sekundär zu betrachten, da die Kunstschaffenden historisch gesehen (von wenigen Ausnahmen abgesehen) sich seit jeher auf die philosophischen Theorien in ihrer Suche nach "dem Bild" stützten und so ihre individuellen Zugänge fanden. Denken wir z.B. an die Malergruppe "Brücke", die bereits in ihrer Namensgebung eine der tragenden Gedankensäulen Friedrich Nietzsches wortidentisch zitiert. Wobei an dieser Stelle anzumerken sei, dass sich Nietzsche, Kierkegaard u.a. wiederum der Allegorik und Erzählung bedienten, um aus dieser heraus philosophisch zu argumentieren; auch die Philosophie kann sich also aus Bildern oder wenigstens Bildhaftem entwickeln. Zum Glück muss man sagen, denn wäre es anders, wäre auch der Kunst ein Teil ihres Wertes genommen, um das mal so deutlich festzuhalten. Es scheint eine nicht endende Wechselbeziehung der Aktionen und Reaktionen zwischen der Kunst und Philosophie zu bestehen; insofern halte ich es für abträglich den Fortlauf dieser Beziehung durch eine Antwort der Kunst auf sich selbst und eine Antwort der Philosophie auf die Philosophie, aufzuweichen. Es ist meine überaus persönliche Ansicht hierbei, dass ich der Kunstwissenschaft, in ihrer analytischen Ausprägung wenigstens, deshalb kritisch gegenüberstehe, insofern sie diesen Kreislauf durch falschen Handlungsschluss unterbricht. (Um das "auf deutsch" und lapidarer zu sagen: Spätestens als ich vor wenigen Jahren einen Text las, in dem sich die Kunstwissenschaft den Arbeiten Mark Rothkos mit dem Zollstock und prozentualer Berechnung der Farbanteile auf der Leinwand "annäherte", war das Thema für mich erledigt. Das mag unprofessionell klingen, aber es gibt durchaus auch Professionalität am falschen Ende.) Es ist ein dünnes Eis, auf dem man sich bewegt, wenn man über Kunst sprechen will und ich werde es auch im Prozess um dieses Projekt herum nicht immer verhindern können, die Theorie des Gedankens über sein Wesen, Werden und Wirken zu stellen. Ich werde mich infolgedessen um eine "haptische" Denkweise bemühen, schon aus dem Wunsch heraus, am Ende gute Kunst in Form von Fotografien und nicht bloße Gedanken vorstellen zu können.


In den folgenden Beiträgen dieser Prozessbeschreibung werde ich also auch immer wieder auf Aspekte aus naturphilosophischen Schriften zu sprechen kommen, die mir für die Entwicklung meiner praktischen fotografischen Arbeit um dieses Thema relevant erscheinen.


In praktischer Hinsicht: Ich habe am gestrigen Tag damit begonnen, mich mit dem neuen Weitwinkelobjektiv, sowie dem Stativ von Manfrotto, technisch vertraut zu machen. Ebenso konnte ich mein Wissen um die technischen Möglichkeiten der von mir genutzten Bildbearbeitungsprogramme GIMP und RawTherapee (beide kostenlos aber hervorragend in ihrer Anwendung) vertiefen, wobei vor allem das Letztere als komplex zu bewerten ist. Ich erkenne zunehmend, welche neuen bildnerischen Möglichkeiten sich aus der Anschaffung der beiden Objektive und eines Drei-Achsen-Statives (anders als bei einem Kugelkopfstativ sind Waagrechte, Senkrechte und Drehung getrennt justierbar) ergeben. Gerade der Brennweitenbereich, der sich aus dem Zusammenspiel der Objektive ergibt, hat in der Bildfindung eine weitaus bedeutendere Rolle als nur die technische Darstellungsmöglichkeit. So entscheidet er beispielsweise, inwiefern das fotografisch Festgehaltene den Charakter seines Wesens preisgibt oder aber verbirgt. In diesem Sinne wird in Zukunft auch von der brennweitenbedingten Kontextualisierung der Darstellung zu sprechen sein. Diesen Grundgedanken aufgreifend, will ich das folgende gedankliche Beispiel bemühen, das ganz gewiss plakativster Art ist, den Grundgedanken jedoch adäquat wiedergeben sollte: Fotografiert werden soll eine kleinere Pflanze, die im städtischen Bereich in einer Pflasterfuge wächst. Es ergeben sich beispielsweise die folgenden Möglichkeiten der Darstellung:


- Hohe Brennweite (oder Makro): Die Pflanze wird offenbar ihrer botanischen Merkmale willen dokumentiert, als "sie selbst".


- Mittlere Brennweite (sagen wir 40-50mm; wir sehen also bereits ein gutes Stück mehr von der Peripherie, die städtische Situation lässt sich bereits assoziieren): Die Pflanze hat es geschafft sich zu behaupten, trotz des für sie lebensfeindlichen Umfeldes.


- Niedrige Brennweite/Weitwinkel (10mm; die Stadtkulisse wirkt der kleinen Pflanze gegenüber übermächtig in ihrer Erscheinung): Die Pflanze scheint völlig deplatziert, sie wird von ihrem Umfeld massiv bedroht, ihr weiteres Überleben wirkt mehr als fraglich. Die Absicht, auf den Naturschutz aufmerksam zu machen, scheint primär immanent.


Wie bereits angesprochen, handelt es sich um ein reichlich plattes Beispiel, das jedoch das Eine deutlich macht: Die Brennweitenkontextualisierung spielt eine herausragende Rolle in Aussage und Rezeption!


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