Die Farbe in der Unschärfe und kindliches Sehen / Theorie

Während der Bearbeitung der bisherigen Fotografien habe ich an mir selbst beobachtet, dass ich kein erwähnenswertes Augenmerk auf die Farbe der Abbildung legte. Was seltsam erscheint, da ich in meiner malerischen Arbeit, die Farbkomposition über alle anderen Aspekte der Gestaltung stelle, sie sogar als das Wesentlichste des Bildes erachte. Ich war bei der Justierung der Farbwerte in GIMP allein darauf bedacht, die Farben in den Fotografien denen der Realität (faktisch genauer: meiner Erinnerung an den persönlichen Sinneseindruck "vor Ort") anzupassen. Das könnte aus dem Eifer nach technischer Perfektion heraus, ein fataler Fehler in der künstlerischen Grundhaltung sein. Wenigstens wäre es mit großer Wahrscheinlichkeit ein Verlust am Willen zum Versuch, der in der Kunst eine so wichtige Triebfeder ist.


Als Kind habe ich gerne mit der analogen SLR-Kamera meines Vaters herumexperimentiert und hierbei eines Tages beim "Anziehen" des Filmanfangs versehentlich ein Foto gemacht, das lange Jahre zu den mir liebsten "Arbeiten" gehörte. Darauf zu sehen war kein assoziierbarer Inhalt, nur eine zufällige Farbzusammenstellung von weißen und hellblau-türkisen Flächen. (Leider fand sich der Abzug auf Anhieb nicht, ich werde aber weiter danach suchen.) Soweit ich mich erinnere, fotografierte ich aus einer Ferienwohnung heraus, mit radikaler Unschärfe, vor einem Fenster stehend, woraus schließlich dieses Foto entstand, dessen Farben die des Himmels hinter diesem Fenster wiedergaben. Der Abzug war überdies extrem körnig, was den Eindruck des augenscheinlichen technischen Fehlschlages nochmal steigerte; dennoch handelte es sich um eine Abbildung dessen, was an diesem Ort zu sehen war. Wahrheit der Wahrnehmung frei der Annahme von Realität im Wunsch nach Erfahrung. Vielleicht lässt sich so das kindliche Sehen beschreiben, das diese Fotografie auf gewisse Weise für mich verkörperte. Kein Wunsch nach Dokumentation, nach ausgewähltem Inhalt oder Bedeutung, noch nichtmal nach Abbildung selbst, nur die situative Wahrnehmung. Wäre das Dada oder der viel zu oft bemühte Nihilismus? Ich meine fast, der Name kann ganz egal sein. Interessanterweise waren es die Farben der Natur, nicht die der Kultur, die dieses Foto so reizvoll machten, das ist der springende Punkt dabei. (Ich kann die mögliche Bedeutung dieses Umstandes nicht hoch genug einschätzen!) Ich werde mir in diesem Sinne die Farben der Natur genauer anschauen, so ungezwungen wie es einem Erwachsenen noch möglich ist, der den Dingen aus der Angst heraus, viel zu viele Namen gegegeben hat. Zum ersten Mal seit langer Zeit, habe ich das glaubhafte Gefühl, ich könne vielleicht finden, wonach ich suche. Es ist viel zu leicht, sich selbst hinter Wissen und Ordnung zu verstecken und das Abheften mit dem Erleben verwechseln zu wollen.


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